Smallest Stone in the World
When Da Vinci drew a cross-section of an onion next to that of a scalp, he pondered: Tears well up from the heart to the eye, passing through the canal of the nose. A nameless Sicilian girl tightly shut her eyes, her parched heart like sand split in two. She then severed the head of her unfaithful Arab lover, turned the skull upside down, and scattered seeds within. As neighbors passed beneath her balcony, they were astonished by the unusually lush basil and afterwards imitated the shape of the flowerpot—a design still popular in Palermo’s souvenir shops today. Attributing vitality to form may well be an instinct of humankind.
And poor Mr. Guillotin, who actually wanted to make things better,
proposed a decapitation machine that operated in the twinkling of an eye. “A slight coolness on the back of the neck,” he said. The prolonged torment of the old regime was thus transformed into an instantaneous event, as if the condemned were eliminated rather than executed. To compensate for the invisibility of the actual moment of death, an elaborate choreography emerged: prisoners arriving in open carts, crowds performing satirical songs and poems, peddlers selling miniature guillotines, the executioner brandishing the newly severed head. Hats, socks, or perhaps mittens—never for a moment did the Tricoteuse cease to knit. Her gaze was, however, entranced by the lethal simplicity—triangle, circle, rectangle—rendering the
machine itself absent.
Auto-dissection
After the android removed the curved plates shielding his head, his brain lay exposed: a microcosm of auric machinery, interwoven with delicate wires, on which the thinnest of foil leaves were hinged. He rotated the microscope to examine how consciousness was encoded in the ever-shifting patterns of air. In panic, he grasped that air was actually the medium of thoughts and memories—that all he was, in essence, was a current of air. As he watched, the leaves flutter faster from the turbulence of his mind, which, in turn, deepened his agitation.
Sniper’s View
An abundance of hair, seemingly real—recently dyed platinum, wild and woolly—radiating an untamable, unabashed allure. A gravity-warping vortex, outsize, exaggerated to the point of transcending the expressive capacity of the face.
Portrait of Artist’s Son
At night, Jean Renoir wandered through his house, its walls almost stripped bare. His ventures into cinema had been marked by the sale of his father’s paintings. Surrounded by empty frames—like sewage channels opening into a hostile world—he resolved to abandon filmmaking and cling to the few paintings that remained. Suddenly, as he discovered the last unpaid bills, his amygdala swelled, and with it loomed a cascade of visions: a small lizard beneath a midday blouse, the caress of foliage in a boat, a dandelion, marvellous close-ups of the faces, emitting the most subtle signs, for which he would insert perfectly unrelated sequences…
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Solo show “And poor Mr. Guillotin, who actually wanted to make things better.” tracks the trajectory of rolling heads, among an atlas of masks, faces and skulls, which have, through history, persistently attempted to capture each other. Composed of gradient exchanges between living and non-living, reality and fiction, the interior and exterior, Yuchu Gao’s new sequences on raw linen delineate anthropomorphic figures set against a backdrop of Western portraiture. The visual configuration of the exhibition space invites the audience to scan the horizons not only for a procession of cultic, cultural, and temporal heterogeneities, but also for heuristic intervals that relink, reedit and re-montage images.
Text by Jianling Zhang
Kleinster Stein der Welt
Als Da Vinci den Querschnitt einer Zwiebel neben dem einer Kopfhaut zeichnete, kam er ins Grübeln: Die Tränen strömen vom Herzen zum Auge und fließen dabei durch den Nasenkanal. Ein namenloses sizilianisches Mädchen schloss ihre Augen fest, ihr ausgedörrtes Herz war wie in zwei Teile gespaltener Sand. Dann schlug sie den Kopf ihres untreuen arabischen Liebhabers ab, drehte den Schädel herum und verstreute Samen darin. Als die Nachbarn unter ihrem Balkon vorbeikamen, staunten sie über das ungewöhnlich üppig wuchernde Basilikum und ahmten anschließend die Form des Blumentopfs nach - ein Design, das noch heute in den Souvenirläden Palermos beliebt ist. Es mag ein menschlicher Instinkt sein, einer Form Vitalität zuzuschreiben.
Und der arme Herr Guillotin, der eigentlich etwas verbessern wollte,
schlug eine Enthauptungsmaschine vor, die im Handumdrehen funktionierte. „Ein leichtes Frösteln im Nacken“, sagte er. Die langwierigen Qualen des alten Regimes wurden auf diese Weise in ein augenblickliches Ereignis verwandelt, so als ob die Verurteilten nicht lediglich exekutiert, sondern eliminiert würden. Um die Unsichtbarkeit des eigentlichen Todesmoments zu kompensieren, entstand eine ausgeklügelte Choreografie: Gefangene, die in offenen Karren ankamen, Menschenmengen, die satirische Lieder und Gedichte vortrugen, Hausierer, die Miniatur-Guillotinen verkauften, der Henker, der den frisch abgeschlagenen Kopf schwenkte. Hüte, Socken, vielleicht auch Fäustlinge - die Tricoteuse hörte nicht einen Moment lang auf zu stricken. Ihr Blick war jedoch fasziniert von der tödlichen Schlichtheit - Dreieck, Kreis, Rechteck - die die Maschine selbst fast vergessen ließ.
Selbst-Dissektion
Nachdem der Androide die gewölbten Platten, die seinen Kopf abschirmten, entfernt hatte, kam sein Gehirn zum Vorschein: ein Mikrokosmos aurischer Maschinerie, verwoben mit feinen Drähten, an denen die dünnsten Folienblätter hingen. Er drehte das Mikroskop, um zu untersuchen, wie das Bewusstsein in den sich ständig verändernden Luftmustern kodiert war. In Panik begriff er, dass die Luft das Medium der Gedanken und Erinnerungen war - dass alles, was er war, im Grunde ein Luftstrom war. Während er das beobachtete, flatterten die Blätter wegen der Turbulenzen in seinem Kopf schneller, was wiederum seine Aufregung noch verstärkte.
Der Blick des Scharfschützen
Eine Fülle von Haaren, scheinbar echt - kürzlich platinfarben gefärbt, wild und wollig - die eine unbezähmbare, unverschämte Anziehungskraft ausstrahlen. Ein die Schwerkraft durchbrechender Wirbel, überdimensional, so übertrieben, dass er die Ausdrucksfähigkeit des Gesichts übersteigt.
Porträt des Sohnes des Künstlers
Nachts wanderte Jean Renoir durch sein Haus, dessen Wände fast leergeräumt waren. Sein Engagement im Filmgeschäft war durch den Verkauf der Gemälde seines Vaters geprägt worden. Umgeben von leeren Rahmen - wie Abwasserkanäle, die sich in eine feindliche Welt ergießen - beschloss er, das Filmemachen aufzugeben und sich an die wenigen Gemälde zu klammern, die ihm geblieben waren. Plötzlich, als er die letzten unbezahlten Rechnungen entdeckte, schwoll seine Amygdala an, und mit ihr eine Kaskade von Visionen: eine kleine Eidechse unter einer Mittagsbluse, zartes Laub in einem Boot, eine Löwenzahnblüte, wunderbare Nahaufnahmen von Gesichtern, die die subtilsten Zeichen aussenden, für die er völlig zusammenhanglose Sequenzen einfügen würde...
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Die Einzelausstellung „And poor Mr. Guillotin, who actually wanted to make things better“ verfolgt den Weg der rollenden Köpfe in einem Atlas von Masken, Gesichtern und Schädeln, die im Laufe der Geschichte immer wieder versucht haben, sich gegenseitig zu erfassen. Yuchu Gaos neue Sequenzen auf rohem Leinen, die aus einem Wechselspiel zwischen Lebendigem und Unlebendigem, Realität und Fiktion, Innen und Außen bestehen, zeigen anthropomorphe Figuren vor dem Hintergrund westlicher Porträts. Die visuelle Konfiguration des Ausstellungsraums lädt den Betrachter ein, den Horizont nicht nur nach einer Prozession kultischer, kultureller und zeitlicher Heterogenitäten abzusuchen, sondern auch nach heuristischen Intervallen, die Bilder neu verknüpfen, neu bearbeiten und neu arrangieren.
Yuchu Gao (geb. 1993, China) schloss 2016 ihr Studium der Malerei am Wimbledon College of Arts, University of the Arts London, mit einem Bachelor ab. Anschließend absolvierte sie 2024 ihr Studium der Bildhauerei (Prof. Nicole Wermers) an der Akademie der Bildenden Künste in München. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die Zeichnung als Kommunikationsform, die der Schrift vorausgeht, als Erkundungsinstrument für die Neuskalierung thematischer Bilder und speziell als Ort der Begegnung von Sein und Werden. In den letzten Jahren hat sie sich auf räumliche Zeichenexperimente konzentriert, bei denen die wechselnde Geschwindigkeit und Dichte ihrer Gesten über den Rand des Papiers hinausgeht und den Betrachter mit unkonventionellen Denk- und Tastfeldern einhüllt.
Text von Jianling Zhang
Yuchu Gao (b. 1993, China) graduated with a Bachelor's Degree in Painting from Wimbledon College of Arts, University of the Arts London, in 2016. She later completed her study in Sculpture (Prof. Nicole Wermers) at the Academy of Fine Art Munich in 2024. The core of her practices engages with drawing as a form of communication that predates writing, an exploratory tool for rescaling thematic imagery, and, most importantly, as the meeting place of being and becoming. In recent years, she has been focusing on spatial drawing experiments, where the varied speed and density of her gestures travel off the paper's edge, encircling the viewers with unconventional fields of thought and tactility.